Bild: Screenshot von #corona-Spezial | Das Online-Orchester #6: https://www.youtube.com/watch?v=6n5i99cUUh0 |
(Autoren: Daniela Mayrshofer und Kai Milkereit)
Was noch vor wenigen Wochen digitalen Nomaden oder
Offshore-Kollegen in Niedriglohnländern vorbehalten war, entfaltet sich in
Zeiten des Homeoffice gerade in seiner vollen Wucht direkt in unseren Wohnungen:
Die Macht der Digitalisierung unserer Zusammenarbeit. Sie bringt eine Menge
Nachteile mit sich, von denen viele von uns ein Lied singen können.
Gleichzeitig eröffnen sich aber auch Chancen, die wir in Zukunft nutzen sollten.
In persönlichen Meetings schätzen die meisten von uns die spürbare
körperliche Nähe unserer Gesprächspartner. Die äußere Erscheinung, das Verhalten
im Raum, Mimik und Gestik helfen uns, schnell und treffsicher miteinander
umzugehen. Der Ausdruck von Gefühlen, die wir mit etwas Empathie nachempfinden
können, hilft uns Themen zu klären. Und wer sein Verhalten auf andere Menschen
im Raum einstellen möchte, versucht “zwischen den Zeilen zu lesen“.
Dieses, oder das meiste, fällt in Online-Meetings oder
Videokonferenzen weg - was uns einer Menge der Mittel beraubt, mit denen wir im
analogen Leben wirksam sind. Was sind Vorteile, die diese Nachteile aufwiegen, und
welche überraschenden kulturellen Chancen sehen wir in Online-Meetings?
Online-Kollaboration bringt eine Menge wirtschaftlicher Vorteile, (z.B.
die Ersparnis von Zeit, Wege- und Reisekosten). Das ist bereits hinlänglich bekannt,
aber wird nun mit jeder neuen Erfahrung ausgebaut werden. Auch wenn dadurch in
dieser Krisenzeit Unternehmen in der Reisebranche leider doppelt hart getroffen
werden.
Wenn Ort und Wege keine Hürden mehr sind, können plötzlich Menschen
(z.B. Bewohner ländlicher Räume oder Menschen mit zu pflegenden Angehörigen),
die vorher ausgeschlossen waren, an Online-Meetings und Konferenzen teilnehmen.
Dieses Phänomen werden Nichtbetroffene wahrscheinlich unterschätzen - und
wirklich zum Tragen kommt es, wenn Homeoffice flächendeckend stattfindet. In
Zeiten von Fachkräfte Mangel sind das gute Aussichten.
Gleichzeitig erlaubt uns die Technik Gestaltungselemente zu
verwenden, die im realen Raum so nicht möglich sind. So können z.B. alle
Meinungen exakt zur selben Zeit „gepostet“ werden, sodass es ein zunächst jungfräuliches Bild der Ausgangsmeinungen gibt.
Dass durch diese und einige andere Phänomene viele kulturelle
Aspekte im virtuellen Raum geradezu befördert werden, ist selbst für
Menschen,wie uns bei Consensa, überraschend und erfreulich zugleich.
Drei Beobachtungen möchten wir hier exemplarisch für andere
Erkenntnisse nennen:
1. Die Teilnehmer begegnen sich auf
Augenhöhe und hören besser zu
In einer Videokonferenz (z.B. mit Skype oder Zoom) gibt es viele der
oben beschriebenen Signale nicht. Es gibt keine sichtbare und körperlich
spürbare Hierarchie im „Raum“. Die Bilder der Teilnehmenden sind alle gleich
groß und werden in beliebiger Reihenfolge angezeigt. Die gegenseitige
Wahrnehmung beschränkt sich auf Sprache und bestenfalls die Mimik, sofern sie denn
ausreichend klar übertragen wird. Das hat den Vorteil, dass gewohnte Rituale
der Über- und Unterordnung nicht unterstützt werden.
Jede*r, der oder die spricht, muss das Mikro anstellen. Vielleicht
muss sie oder er sich melden und kann nicht einfach dazwischenreden, je nach Handhabung der Moderation. Weil das Sprechervideo in den meisten
Videokonferenztools hervorgehoben wird, kann man sehen, wenn jemand anderes zum
Sprechen anhebt, welches nach unserer Erfahrung Höflichkeit deutlich befördert.
Es gelingt oft besser, sich wirklich zuzuhören, auch weil man der Sprecher*in
scheinbar direkt in die Augen sehen kann. Und - vorausgesetzt man ist selber durch die individuelle
Situation im Home-Office nicht abgelenkt -geschieht im Online-Meeting viel
weniger Ablenkung durch andere Menschen und Ereignisse im Raum.
Wenn wir den Bildschirm nicht für die Videos der Teilnehmer nutzen,
sondern Kooperationstools, wie z.B. die gemeinsame Dokumentenbearbeitung in
Google-Docs oder kollaborative Visualisierungstools, wie z.B. Miro nutzen, erleben
wir unerwartete positive Effekte. Bei vielen Menschen sinkt die Hemmschwelle,
sich aktiv einzubringen, stark. Verglichen mit persönlichen Meetings am Tisch
oder im Kreis, ist es in solchen Online-Meetings sehr viel einfacher, (Mikro-)Initiative
zu ergreifen und z.B. Kommentare in ein Dokument zu schreiben oder Post-Its auf
ein Board zu heften. Sich nicht erst persönlich bemerkbar machen und sprachlich
durchsetzen zu müssen, macht vieles einfacher. Wenn alle Teilnehmer das
Whiteboard gleichzeitig bedienen können, fördert das die Eigeninitiative, mehr Vorschläge
finden Gehör und das Tempo schwingt sich auf das Maß der Gruppe ein. So haben
wir z.B. bei der Erarbeitung von Story Maps mit der Visualisierung in Miro sehr
viel leichter umfassende und präzise Ergebnisse erhalten, als wir das aus moderierten
analogen Workshop kennen.
2. Transparenz und Klarheit kann sehr viel
besser unterstützt werden
Durch die Möglichkeit in Videokonferenzen den Bildschirm zu
teilen, werden Informationen unserer Erfahrung nach sehr viel schneller
sichtbar gemacht, als das in Präsenz-Konferenzen der Fall ist. Wenn alle
Beteiligten ihren Bildschirm teilen können, können Aussagen mit einem Dokument
untermauert werden und so manche Frage direkt und gemeinsam geklärt werden,
indem man z.B. eine zitierte E-Mail gemeinsam liest. Dadurch können relevante
Zahlen, Daten und Fakten sehr viel schneller transparent gemacht werden und
schnellere und präzisere Entscheidungen getroffen werden. Das bringt Tempo und
fördert das wechselseitige Vertrauen.
In analogen Meetings erstellen wir die Dokumentation der
Ergebnisse oft simultan zu den Diskussionen an einem Flipchart oder an einer Moderationswand.
Das verlangt viel Übung und Erfahrung, um „schnell nebenbei“ ein für alle lesbares
Protokoll zu erstellen. In Online-Meetings kann dazu eine für den jeweiligen Zweck
geeignete Software genutzt werden. Eine Teilnehmer*in schreibt mit und macht
die Mitschrift anschließend per Bildschirmfreigabe für alle transparent. Verbesserungen
können direkt besprochen werden.
Solche Iterationsschleifen bringen nach unserer Erfahrung neben einem
akzeptieren Protokoll und besser im Gedächtnis gespeicherten Ergebnissen noch ein
weiteres interessantes Potenzial: Wenn nach einer langen Diskussion ein sehr „übersichtliches
Ergebnis“ notiert wird, kann dieses gemeinsame Erlebnis in einer Retrospektive
am Ende des Meetings sofort aufgegriffen werden.
Sofern das Meeting der Sammlung von vielen Beiträgen dient, zum
Beispiel zur Ideenfindung, bieten sich gemeinsame Boards an, die von allen
Beteiligten gleichzeitig bedient werden können. Damit entsteht eine schnelle
Übersicht der Beiträge für alle und die Dokumentation im Anschluss entsteht mit
wenigen Mausklicks.
Und last but not least lassen sich Online-Meetings (natürlich nach
Absprache) unkompliziert aufzeichnen, sodass wir die Inhalte leicht für Menschen
nachvollziehbar machen können, die nicht dabei waren.
3. Konflikte online klären kann sogar einfacher
sein
Die überraschendste Erkenntnis für uns war aber die Erfahrung, die
eine Kollegin aus Ihrer Rolle als Mediatorin bei der Klärung von Konflikten berichtet
hat: Die körperliche Distanz hilft immens, Emotionen zu zügeln und Impulse zu
kontrollieren.
So war es bei der Mediation eines Konfliktes im Vorstand eines
Sozialunternehmens den Beteiligten durch eine Pause an der richtigen Stelle sehr
viel einfacher möglich, auf eine sachliche Ebene zurückzukehren als dies in
einer Live-Situation der Fall gewesen wäre. Bild und Ton wurden abgestellt und alle
Beteiligten hatten die Möglichkeit sich kurz im eigenen persönlichen Umfeld zu
beruhigen und innerlich neu aufzustellen. In einer analogen Pause hätte man
sich dennoch gesehen und damit „aufgeregt“, ohne ausreichend Abstand zu
gewinnen.
Die oben beschriebene Augenhöhe in Online-Zusammenkünften hat die Klärung
sicher auch stark unterstützt.
Persönlich hilfreich empfand unsere Kollegin, dass sie zwar die
Befindlichkeit der Teilnehmer an ihrer Mimik erkennen und darauf reagieren
konnte, die Emotionen aber viel weniger „ansteckend“ waren, als dies ohne diese
räumliche Distanz möglich gewesen wäre. Eine Telefonkonferenz dagegen hätte
deutlich mehr Raum für Interpretationen gelassen, was in einer solchen Konfliktsituation
eher hinderlich gewesen wäre.
Perspektive
Die Welt der Online-Zusammenarbeit wird sicher nicht mehr auf den
Zustand vor der Corona-Krise zurückkehren. Als Wissens- und Büroarbeiter werden
wir uns mit Sicherheit auf hybride Formen der Zusammenarbeit einstellen müssen:
teilweise im Homeoffice, teilweise im Büro: unterschiedlich von Person zu Person,
abhängig von den eigenen Rahmenbedingungen und sozialen Bedürfnissen.
Jetzt liegt es an uns, diesen Zustand zu umarmen und ihn zur
Gestaltung einer positiven Zukunft zu nutzen. Dazu werden wir unsere Methoden der
Moderation auch im virtuellen Raum weiter entwickeln und Prozesse der Online-Zusammenarbeit
von Monat zu Monat professionalisieren.
Unserer Erfahrung nach, sind wir als Gesellschaft gerade dabei zu
entdecken, welche neuen Chancen und besonderen Mehrwert uns virtuelle Meetings
liefern können. Sie bieten eine Menge Raum für die aktive und bewusste
Gestaltung der Remote-Zusammenarbeit, sodass sie in sehr kurzer Zeit eine
wertvolle Ergänzung von Live-Veranstaltungen und Workshops werden können, die
weit über eine einfache Videokonferenz hinausgehen.
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