Samstag, 2. Mai 2020

Überraschende kulturelle Chancen in Online-Meetings

Bild: Screenshot von #corona-Spezial | Das Online-Orchester #6: https://www.youtube.com/watch?v=6n5i99cUUh0














(Autoren: Daniela Mayrshofer und Kai Milkereit)

Was noch vor wenigen Wochen digitalen Nomaden oder Offshore-Kollegen in Niedriglohnländern vorbehalten war, entfaltet sich in Zeiten des Homeoffice gerade in seiner vollen Wucht direkt in unseren Wohnungen: Die Macht der Digitalisierung unserer Zusammenarbeit. Sie bringt eine Menge Nachteile mit sich, von denen viele von uns ein Lied singen können. Gleichzeitig eröffnen sich aber auch Chancen, die wir in Zukunft nutzen sollten.

In persönlichen Meetings schätzen die meisten von uns die spürbare körperliche Nähe unserer Gesprächspartner. Die äußere Erscheinung, das Verhalten im Raum, Mimik und Gestik helfen uns, schnell und treffsicher miteinander umzugehen. Der Ausdruck von Gefühlen, die wir mit etwas Empathie nachempfinden können, hilft uns Themen zu klären. Und wer sein Verhalten auf andere Menschen im Raum einstellen möchte, versucht “zwischen den Zeilen zu lesen“.

Dieses, oder das meiste, fällt in Online-Meetings oder Videokonferenzen weg - was uns einer Menge der Mittel beraubt, mit denen wir im analogen Leben wirksam sind. Was sind Vorteile, die diese Nachteile aufwiegen, und welche überraschenden kulturellen Chancen sehen wir in Online-Meetings?

Online-Kollaboration bringt eine Menge wirtschaftlicher Vorteile, (z.B. die Ersparnis von Zeit, Wege- und Reisekosten). Das ist bereits hinlänglich bekannt, aber wird nun mit jeder neuen Erfahrung ausgebaut werden. Auch wenn dadurch in dieser Krisenzeit Unternehmen in der Reisebranche leider doppelt hart getroffen werden.

Wenn Ort und Wege keine Hürden mehr sind, können plötzlich Menschen (z.B. Bewohner ländlicher Räume oder Menschen mit zu pflegenden Angehörigen), die vorher ausgeschlossen waren, an Online-Meetings und Konferenzen teilnehmen. Dieses Phänomen werden Nichtbetroffene wahrscheinlich unterschätzen - und wirklich zum Tragen kommt es, wenn Homeoffice flächendeckend stattfindet. In Zeiten von Fachkräfte Mangel sind das gute Aussichten.

Gleichzeitig erlaubt uns die Technik Gestaltungselemente zu verwenden, die im realen Raum so nicht möglich sind. So können z.B. alle Meinungen exakt zur selben Zeit „gepostet“ werden, sodass es ein zunächst jungfräuliches Bild der Ausgangsmeinungen gibt.

Dass durch diese und einige andere Phänomene viele kulturelle Aspekte im virtuellen Raum geradezu befördert werden, ist selbst für Menschen,wie uns bei Consensa, überraschend und erfreulich zugleich.

Drei Beobachtungen möchten wir hier exemplarisch für andere Erkenntnisse nennen: 

1. Die Teilnehmer begegnen sich auf Augenhöhe und hören besser zu

In einer Videokonferenz (z.B. mit Skype oder Zoom) gibt es viele der oben beschriebenen Signale nicht. Es gibt keine sichtbare und körperlich spürbare Hierarchie im Raum“. Die Bilder der Teilnehmenden sind alle gleich groß und werden in beliebiger Reihenfolge angezeigt. Die gegenseitige Wahrnehmung beschränkt sich auf Sprache und bestenfalls die Mimik, sofern sie denn ausreichend klar übertragen wird. Das hat den Vorteil, dass gewohnte Rituale der Über- und Unterordnung nicht unterstützt werden.

Jede*r, der oder die spricht, muss das Mikro anstellen. Vielleicht muss sie oder er sich melden und kann nicht einfach dazwischenreden, je nach Handhabung der Moderation. Weil das Sprechervideo in den meisten Videokonferenztools hervorgehoben wird, kann man sehen, wenn jemand anderes zum Sprechen anhebt, welches  nach unserer Erfahrung Höflichkeit deutlich befördert. Es gelingt oft besser, sich wirklich zuzuhören, auch weil man der Sprecher*in scheinbar direkt in die Augen sehen kann. Und - vorausgesetzt man ist selber durch die individuelle Situation im Home-Office nicht abgelenkt -geschieht im Online-Meeting viel weniger Ablenkung durch andere Menschen und Ereignisse im Raum.

Wenn wir den Bildschirm nicht für die Videos der Teilnehmer nutzen, sondern Kooperationstools, wie z.B. die gemeinsame Dokumentenbearbeitung in Google-Docs oder kollaborative Visualisierungstools, wie z.B. Miro nutzen, erleben wir unerwartete positive Effekte. Bei vielen Menschen sinkt die Hemmschwelle, sich aktiv einzubringen, stark. Verglichen mit persönlichen Meetings am Tisch oder im Kreis, ist es in solchen Online-Meetings sehr viel einfacher, (Mikro-)Initiative zu ergreifen und z.B. Kommentare in ein Dokument zu schreiben oder Post-Its auf ein Board zu heften. Sich nicht erst persönlich bemerkbar machen und sprachlich durchsetzen zu müssen, macht vieles einfacher. Wenn alle Teilnehmer das Whiteboard gleichzeitig bedienen können, fördert das die Eigeninitiative, mehr Vorschläge finden Gehör und das Tempo schwingt sich auf das Maß der Gruppe ein. So haben wir z.B. bei der Erarbeitung von Story Maps mit der Visualisierung in Miro sehr viel leichter umfassende und präzise Ergebnisse erhalten, als wir das aus moderierten analogen Workshop kennen.

2. Transparenz und Klarheit kann sehr viel besser unterstützt werden

Durch die Möglichkeit in Videokonferenzen den Bildschirm zu teilen, werden Informationen unserer Erfahrung nach sehr viel schneller sichtbar gemacht, als das in Präsenz-Konferenzen der Fall ist. Wenn alle Beteiligten ihren Bildschirm teilen können, können Aussagen mit einem Dokument untermauert werden und so manche Frage direkt und gemeinsam geklärt werden, indem man z.B. eine zitierte E-Mail gemeinsam liest. Dadurch können relevante Zahlen, Daten und Fakten sehr viel schneller transparent gemacht werden und schnellere und präzisere Entscheidungen getroffen werden. Das bringt Tempo und fördert das wechselseitige Vertrauen.

In analogen Meetings erstellen wir die Dokumentation der Ergebnisse oft simultan zu den Diskussionen an einem Flipchart oder an einer Moderationswand. Das verlangt viel Übung und Erfahrung, um „schnell nebenbei“ ein für alle lesbares Protokoll zu erstellen. In Online-Meetings kann dazu eine für den jeweiligen Zweck geeignete Software genutzt werden. Eine Teilnehmer*in schreibt mit und macht die Mitschrift anschließend per Bildschirmfreigabe für alle transparent. Verbesserungen können direkt besprochen werden.

Solche Iterationsschleifen bringen nach unserer Erfahrung neben einem akzeptieren Protokoll und besser im Gedächtnis gespeicherten Ergebnissen noch ein weiteres interessantes Potenzial: Wenn nach einer langen Diskussion ein sehr „übersichtliches Ergebnis“ notiert wird, kann dieses gemeinsame Erlebnis in einer Retrospektive am Ende des Meetings sofort aufgegriffen werden.

Sofern das Meeting der Sammlung von vielen Beiträgen dient, zum Beispiel zur Ideenfindung, bieten sich gemeinsame Boards an, die von allen Beteiligten gleichzeitig bedient werden können. Damit entsteht eine schnelle Übersicht der Beiträge für alle und die Dokumentation im Anschluss entsteht mit wenigen Mausklicks.

Und last but not least lassen sich Online-Meetings (natürlich nach Absprache) unkompliziert aufzeichnen, sodass wir die Inhalte leicht für Menschen nachvollziehbar machen können, die nicht dabei waren.

3. Konflikte online klären kann sogar einfacher sein

Die überraschendste Erkenntnis für uns war aber die Erfahrung, die eine Kollegin aus Ihrer Rolle als Mediatorin bei der Klärung von Konflikten berichtet hat: Die körperliche Distanz hilft immens, Emotionen zu zügeln und Impulse zu kontrollieren.

So war es bei der Mediation eines Konfliktes im Vorstand eines Sozialunternehmens den Beteiligten durch eine Pause an der richtigen Stelle sehr viel einfacher möglich, auf eine sachliche Ebene zurückzukehren als dies in einer Live-Situation der Fall gewesen wäre. Bild und Ton wurden abgestellt und alle Beteiligten hatten die Möglichkeit sich kurz im eigenen persönlichen Umfeld zu beruhigen und innerlich neu aufzustellen. In einer analogen Pause hätte man sich dennoch gesehen und damit „aufgeregt“, ohne ausreichend Abstand zu gewinnen.

Die oben beschriebene Augenhöhe in Online-Zusammenkünften hat die Klärung sicher auch stark unterstützt.

Persönlich hilfreich empfand unsere Kollegin, dass sie zwar die Befindlichkeit der Teilnehmer an ihrer Mimik erkennen und darauf reagieren konnte, die Emotionen aber viel weniger „ansteckend“ waren, als dies ohne diese räumliche Distanz möglich gewesen wäre. Eine Telefonkonferenz dagegen hätte deutlich mehr Raum für Interpretationen gelassen, was in einer solchen Konfliktsituation eher hinderlich gewesen wäre.

Perspektive

Die Welt der Online-Zusammenarbeit wird sicher nicht mehr auf den Zustand vor der Corona-Krise zurückkehren. Als Wissens- und Büroarbeiter werden wir uns mit Sicherheit auf hybride Formen der Zusammenarbeit einstellen müssen: teilweise im Homeoffice, teilweise im Büro: unterschiedlich von Person zu Person, abhängig von den eigenen Rahmenbedingungen und sozialen Bedürfnissen.

Jetzt liegt es an uns, diesen Zustand zu umarmen und ihn zur Gestaltung einer positiven Zukunft zu nutzen. Dazu werden wir unsere Methoden der Moderation auch im virtuellen Raum weiter entwickeln und Prozesse der Online-Zusammenarbeit von Monat zu Monat professionalisieren.

Unserer Erfahrung nach, sind wir als Gesellschaft gerade dabei zu entdecken, welche neuen Chancen und besonderen Mehrwert uns virtuelle Meetings liefern können. Sie bieten eine Menge Raum für die aktive und bewusste Gestaltung der Remote-Zusammenarbeit, sodass sie in sehr kurzer Zeit eine wertvolle Ergänzung von Live-Veranstaltungen und Workshops werden können, die weit über eine einfache Videokonferenz hinausgehen.

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